Singend durch die Hirn-OP

Als die 19-jährige Musikerin Kira Iaconetti von ihrem Hirntumor erfuhr, nannte sie ihn “einen schlechten Scherz des Universums”. Denn das murmelgroße Geschwür drückte genau auf ihren auditiven Cortex, jene Hirnregion, die dazu dient, Geräusche zu verarbeiten und somit besonders aktiv ist, wenn man Musik hört oder singt.

Immerhin hatte die junge US-Amerikanerin nach ihrer Diagnose eine Erklärung für die Aussetzer, die sie immer öfter ereilten, wenn sie für ihre Auftritte als Musicaldarstellerin übte. “Es war dann, als sei ein Schalter in meinem Gehirn umgelegt worden”, so Iaconetti. “Plötzlich konnte ich keine Töne mehr unterscheiden und es gelang mir nicht, passend zur Musik zu singen.”

Wie ihre Ärzte am Seattle Children’s Hospital feststellten, hat der Tumor bei Iaconetti zu einer ungewöhnlichen Form von Epilepsie geführt – der sogenannten musikogenen Epilepsie. Auf der Website des Krankenhauses erklärt der Neurochirurg Jason Hauptman, dass die epileptischen Anfälle in diesem Fall durch Musikhören und Singen ausgelöst werden.

MRT-Aufnahme von Kira Iaconettis Gehirn. Der grüne Pfeil zeigt die Lage des Tumors. Rechts im Bild sind jene Regionen gelb markiert, die aktiviert werden, wenn die Patientin singt.

Wach und singend durch die Hirn-OP

Die Ärzte standen nun vor einer kniffligen Aufgabe: Um ihre junge Patientin von der Epilepsie zu befreien, die ihre Karriere als Musikerin gefährdet, mussten sie den Tumor entfernen. Dabei bestand jedoch das Risiko, das umliegende Gewebe des auditiven Cortex zu verletzen und so ebenfalls Iaconettis musikalisches Talent zu beeinträchtigen.

Daher überlegten sich Hauptman und seine Kollegen eine ungewöhnliche Vorgehensweise: Während der Hirnoperation sollte die Patientin wach bleiben und singen. Auf diese Weise wollte der Neurochirurg die genauen Regionen identifizieren, die er bei der Entfernung des Tumors umgehen muss.

Nach dem der Arzt ihren Schädel geöffnet hatte, wurde Iaconetti aus der Narkose geweckt. Nacheinander absolvierte sie mehrere musikalische Aufgaben, die sie zuvor mit einem Musiktherapeuten eingeübt hatte. Ihr wurden beispielsweise Töne vorgespielt, die sie dann nachsingen sollte. Zudem sang sie den Refrain eines ihrer Lieblingslieder, den Hit “Islands in the Sun” der US-Rockband Weezer. In dem heißt es an einer Stelle “I can’t control my brain” – “ich kann mein Gehirn nicht kontrollieren”.

Im Video, welches das Krankenhaus von dem Eingriff veröffentlichte, ist zu sehen, wie nach und nach alle Ärzte, Pfleger und Schwestern im OP in den Gesang einstimmen und sich im Takt wiegen. Die gute Stimmung war durchaus angebracht: Iaconetti hat die Operation ohne Probleme überstanden. Bereits 48 Stunden später griff sie in ihrem Krankenbett zur Gitarre und stimmte erneut ihren Lieblingssong an: “We’ll never feel bad anymore” – “Uns wird es nie mehr schlecht gehen”. Neurochirurg Hauptman geht davon aus, dass sie keine weitere Behandlung mehr nötig haben wird.

Wachoperationen sind keine Seltenheit

Hirnoperationen erfolgen öfter ohne Vollnarkose. Meistens absolvieren die Patienten währenddessen Sprachaufgaben, um sicherzustellen, dass bei dem Eingriff keine wichtigen Hirnfunktionen zerstört werden. Schmerzen spüren sie dabei so gut wie keine, denn das Gehirn selbst ist völlig schmerzunempfindlich.

2015 veröffentlichte der slowenische Tenor Ambroz Bajec-Lapajne auf YouTube ein Video von seiner Hirnoperation im niederländischen Utrecht. Er war dabei ebenfalls wach und sag das Lied “Gute Nacht” von Franz Schubert.

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