Kann man sich an Taschentüchern noch mal anstecken?


Fremdekel kennt jeder. Die eigenen abgeschnittenen Zehennägel: ein bisschen Horn, mehr nicht. Der Fußnagel eines Fremden in der Hotelbadewanne: ein Grund, auf das heiß ersehnte Bad zu verzichten. Das gleiche Prinzip gilt für benutzte Taschentücher. Während man die eigenen Rotzfahnen in Notsituationen erleichtert aus der Tasche zieht und noch mal reinschnäuzt, verursacht allein die Vorstellung Übelkeit, dasselbe mit fremdgenutzten Tüchern zu tun.

Der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdekel ist schnell erklärt. Die eigenen Erreger können uns in der Regel nichts mehr anhaben, da unser Immunsystem sie bereits kennt und Methoden entwickelt hat, sie zu bekämpfen. Wir müssen uns den eigenen Erregern sogar aussetzen, sonst würde keine Nase geputzt, kein Po abgewischt werden. Bei fremden Ausscheidungen hingegen sollte jeder lieber Abstand halten.

“Auch bei Taschentüchern ist es unwahrscheinlich, dass man sich an den eigenen noch mal ansteckt”, sagt Marcus Panning vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg. “Andere hingegen können sich durchaus infizieren, wenn sie zum Beispiel die Tücher ihrer Kinder wegräumen.” Dafür muss das Papier jedoch frisch durchweicht sein und der fremde Schleim einen Weg ins eigene Gesicht finden. Denn die häufigsten Erkältungserreger, Rhinoviren, sind weit weniger ansteckend, als viele denken.

Erkältungsexperimente in den Achtzigerjahren: Und jetzt bitte küssen

Ein Großteil des Wissens darüber, wie sich Erkältungsviren verbreiten, verdanken Mediziner bis heute Versuchen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Damals stellten sich Dutzende Studenten als Testobjekte zur Verfügung und nahmen tagelanges Naselaufen in Kauf. “Heute würde so etwas keine Ethikkommission mehr erlauben”, sagt Panning.

1984 etwa infizierten Wissenschaftler der University of Wisconsin 26 Studenten mit Rhinoviren. Anschließend folgten Versuche mit weiteren Freiwilligen. Beim ersten Experiment setzten die Forscher fünf Kranke und neun Gesunde für zwei bis drei Stunden in einen kleinen Raum, ließen sie miteinander diskutieren, singen und Karten spielen. Niemand steckte sich an.

Daraufhin erhöhten die Forscher die Intensität. Das nächste Mal verbrachten Erkältete und Gesunde drei aufeinanderfolgende Nächte in einem kleinen Schlafsaal. Alle Teilnehmer wurden gebeten, abends um sieben zu kommen und frühestens morgens um sieben wieder zu gehen. Türen und Fenster sollten in der Zeit geschlossen bleiben. Doch auch dieses Mal infizierte sich nur einer von elf Teilnehmern.


Rhinoviren – die häufigsten Erkältungserreger

Hinter Erkältungen steckt eine Vielzahl von Viren, Rhinoviren verursachen jedoch mehr als die Hälfte der Erkrankungen weltweit. Sie treten vor allem vor Beginn und nach dem Ende der Grippewelle auf – also gegen Ende des Jahres und ab Frühlingsbeginn.


Also steigerten die Forscher das Infektionsrisiko noch einmal. Beim dritten Experiment küssten sich jeweils ein gesunder und ein erkälteter Student eine bis anderthalb Minuten lang – mit einem kurzen Schmatzer war es also nicht getan. Doch selbst bei dieser Nähe erkrankte nur eine von 13 Personen, berichteten die Forscher im “Journal of Infectious Diseases”.

Ihr Fazit: Rhinoviren sind deutlich weniger ansteckend als andere Erreger. Den effizientesten Weg der Übertragung hatten die Forscher allerdings gar nicht getestet, wie weitere Versuche zeigten.

Händchen halten ist gefährlicher als küssen

Bei ähnlichen Experimenten, die schon 1978 stattgefunden hatten, schafften es Wissenschaftler, deutlich mehr Studenten zu infizieren. Der Unterschied: Die Forscher sperrten Erkältete und Gesunde nicht nur in einen kleinen Raum, sondern setzten auch auf Händekontakt.

Aufgabe der Gesunden war es, einem Erkrankten direkt nach dem Naseputzen zehn Sekunden lang die Hand zu schütteln. Anschließend mussten sie sich mit der kontaminierten Hand zwei- bis dreimal an Nase oder Auge fassen, es brauchte also Ekelresistenz. Erst danach wuschen sich alle die Hände.

Die Methode erwies sich als äußerst effizient: 9 von 15 Testpersonen entwickelten eine Erkältung. Drei Personen steckten sich sogar an, obwohl nach dem Händeschütteln keine Erreger auf ihren Händen nachweisbar waren. Das zeige, dass schon kleinste Virenmengen für eine Infektion ausreichen können, schlussfolgerten die Forscher der University of Virginia im “Journal of Infection”.

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29.04.2019, 19:30 Uhr
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Die Versuche ließen vor allem einen Schluss zu: Händchen halten ist in der Erkältungszeit riskanter als küssen, zumindest im Hinblick auf die häufigen Rhinoviren. Was auf den ersten Blick überrascht, lässt sich mit mehreren Punkten erklären. So zeigte sich bei den Versuchen unter anderem, dass im Speichel nur wenige Erreger schwimmen, die meisten ballen sich im Nasensekret.

Hinzu kommt, dass die Erreger aus dem Mund durch die Speiseröhre in Richtung Magensäure gespült werden, die die Viren eliminiert. Die Nasenschleimhaut hingegen bietet den Erregern ein direktes Einfallstor in die oberen Atemwege. Selbst über die Augen ist der Weg nur etwas länger, da überschüssige Tränenflüssigkeit in die Nasenhöhle fließt und mit ihr potenzielle Erreger. Das erklärt auch, warum beim Weinen die Nase läuft.

Wie lange bleiben Viren auf Taschentüchern und Co. gefährlich?

Bleibt die Frage, wie lange Erkältungsviren außerhalb des Körpers, etwa auf Taschentüchern, überhaupt gefährlich bleiben. Die Antwort hängt stark von der Umgebung ab. “Als Daumenregel kann man sagen, dass Erkältungsviren auf Stahl- oder Plastikoberflächen länger überdauern”, sagt Panning. “Poröse Oberflächen, etwa von Taschentüchern und Kleidung, entziehen ihnen Flüssigkeit, wodurch sie austrocknen und zerbrechen.”

Bei den Zeiträumen handelt es sich jedoch immer nur um Minuten, Stunden oder wenige Tage. “Selbst wenn die Viren geschützt in einem Schleimbrocken auf einer glatten Oberfläche landen, überstehen sie dort definitiv keine Wochen”, sagt Panning. Auf der Haut überdauerten Rhinoviren bei Versuchen bis zu zwei Stunden.

Und selbst wenn die Erreger es in den Körper geschafft haben, entscheidet noch ein letzter Faktor darüber, wie gefährlich sie sind: das eigene Immunsystem. Kleinkinder etwa sind besonders anfällig, wenn ihr Immunsystem einen Erreger noch nicht kennt. “RS-Viren zum Beispiel, die auch Erkältungsbeschwerden verursachen, rauschen einmal durch die komplette Kita”, sagt Panning. “Viele Kinder hatten zuvor noch nie Kontakt mit ihnen. Sie machen die erste Infektion dann aber im Alter von ein oder zwei Jahren durch.”

Auch bei Erwachsenen kann der Körper die Abwehr ein Stück weit verlernen, wie ebenfalls Versuche aus den Siebzigern zeigen – dieses Mal nicht mit Studenten, sondern mit Antarktisforschern, die seit fünf Monaten komplett isoliert lebten. Im Vergleich zu Städtern erkrankten die Abgeschotteten schneller, länger und heftiger, nachdem sie ein Nasenspray mit den Erregern genutzt hatten.

Etwas Kontakt mit Erkältungsviren ist also durchaus nützlich, um das Immunsystem zu trainieren. Das heißt aber nicht, dass Sie den Fremdekel überwinden und sich mit fremden Rotzfahnen schnäuzen sollen – denn an Nase und Auge sollten die Erreger besser nicht gelangen.


Fazit: Erkältungserreger können auf Taschentüchern nur wenige Stunden überdauern. In dieser Zeit ist es unmöglich, sich noch mal selbst anzustecken. Für andere hingegen sind frisch durchweichte Rotzfahnen durchaus eine Gefahr. Am riskantesten aber bleibt, Erkälteten die Hand zu geben und sich anschließend an Auge oder Nase zu fassen. Selbst Küssen ist bei den häufigsten Viren harmloser als Händchen halten.

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