„Das Hüft-Implantat zerfraß meine Knochen – ich werde nie mehr schmerzfrei sein“

In den USA bekam die künstliche Durom-Metasul-Hüfte der Firma Zimmer aus Indiana, keine Zulassung. Aber in Deutschland wurde sie tausendfach eingesetzt – obwohl es Hinweise gab, dass ihr Metallabrieb die Knochensubstanz auflöst. Hanspeter Hauke hatte das Teil fünf Jahre im Körper und leidet bis heute unter den Folgen.

Heute bereut Hanspeter Hauke aus Emmendingen im Breisgau, mit seiner Hüftoperation so lang gewartet zu haben. „Zwei Jahre früher, und ich wäre heute wahrscheinlich gesund“, sagt der ehemalige SWR-Redakteur. 2005 bekam er eine Hüftprothese, die erst 2003 auf den europäischen Markt gekommen war und von vielen Chirurgen als großartige Verbesserung betrachtet wurde.

Inzwischen steht die „Durom-Metasul“ vom US-Hersteller Zimmer Biomet neben anderen fehlerhaften Medizinprodukten im Zentrum der „Implant Files“, einer internationalen Recherchearbeit über gefährliche Medizinprodukte. 250 Mitarbeiter von 60 internationale Medien haben dabei nach eigenen Angaben eineinhalb Jahre in 36 Ländern recherchiert, Akten und Dokumente gesichtet und mit Patienten und Experten gesprochen. In Deutschland waren NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung beteiligt, einen gewaltigen Medizinskandal aufzudecken.

Hanspeter Haukes Chirurg war von der neuartigen Hüftprothese überzeugt: Sie hatte einen viel größeren Kopf als frühere Modelle. Das sollte mehr Beweglichkeit garantieren und dafür sorgen, dass das künstliche Gelenk nicht mehr so leicht aus der Hüftpfanne springt.

1000 fehlerhafte Hüft-Implantate allein an einem Krankenhaus in Freiburg

Der damals 50-jährige Hauke, der sich schon seit über zehn Jahren mit immer stärker werdenden Hüftschmerzen gequält hatte („eine angeborene Fehlstellung der Hüfte und viel Sport als Fußballer“), wurde im Juni 2005 im Freiburger Loretto-Krankenhaus operiert, die „Durom-Metasul“ wurde in seine linke Hüfte eingesetzt. „Dort wurde das Modell wohl am häufigsten implantiert, etwa 1000 Mal zwischen 2003 und 2008“, erzählt der Leiter der Selbsthilfegruppe „Durom-Metasul-LDH-Hüftprothesen e.V“. „Wie oft in anderen Kliniken in Deutschland wissen wir leider nicht. Der Hersteller gibt keine Zahlen bekannt.“ privat Hanspeter Hauke leidet unter den Folgen einer fehlerhaften Hüftprothese

Nach anfänglicher Erleichterung machten sich bei ihm bald wieder Schmerzen bemerkbar. Längeres Stehen oder Gehen wurde allmählich immer schmerzhafter. „Ich war bei Ärzten und Uni-Kliniken und immer hieß es: ‚Das Röntgenbild sieht gut aus. Sie dürften überhaupt keine Schmerzen haben‘. Was ich damals nicht wusste: Das Problem saß unter dem Metallkopf, das die Röntgenstrahlen nicht durchdringen.“

Eine Handvoll totes Gewebe bei der Revisions-OP

Es dauerte bis 2010, als endlich klar wurde, dass Haukes Symptome alle auf eine massive Entzündung in der operierten Hüfte hindeuteten. Das Ding müsse raus. Es war ein Schock. „Der Operateur  holte bei mir eine Handvoll abgestorbenes Gewebe heraus, der Oberschenkelhalsknochen war zerfressen. Schuld war massiver Metallabrieb vom Großkopf aus Chrom-Kobalt-Titan.“

Die zerfressene und fehlende Knochensubstanz wurde mit künstlichem Knochenmaterial wieder aufgebaut und der große Metallkopf durch einen kleineren aus Keramik ersetzt. Der Schaft musste im Oberschenkel bleiben und konnte nur leicht vom giftigen Metallabrieb befreit werden. Die folgenden fünf Wochen nach der OP durfte Hauke nur liegen. Es dauerte fünf Monate, bis der Redakteur wieder arbeiten konnte.

Gefährlicher Metallabrieb aus Chrom und Kobalt

Was er in dieser Zeit erfuhr, machte ihn fassungslos:  Bei über 130 Betroffenen war die fehlerhafte Durom-Hüften bereits ausgetauscht worden. Auch bei ihnen hatte der Abrieb von Chrom und Kobalt schwerste Schäden verursacht.. Bis heute sind über 230 Re-Operationen erfolgt.

Und: Das Risiko dieses Metallabriebs war schon vor der Zulassung der Prothese im Jahr 2003 bekannt – zumindest der Hersteller Zimmer wusste durch die Doktorarbeit eines seiner Mitarbeiter von dieser ernsten Gesundheitsgefahr durch den Metallkopf.

Möglicherweise haben die Beamten bei der US-Gesundheitsbehörde FDA auf die Hinweise geachtet. Sie verweigerten dem Produkt die Zulassung in den USA. In Europa traf die Firma Zimmer Biomet, deren Konzernzentrale in Warsaw, Indiana, sitzt, auf keinen Widerstand.

Berichte, Videos, Hintergründe: Von Montag bis Freitag versorgt Sie FOCUS Online mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Gesundheitsressort. Hier können Sie den Newsletter ganz einfach und kostenlos abonnieren.

Hersteller gibt Fehlerhaftigkeit immer noch nicht zu

Heute ist die Hüftprothese vom Markt verschwunden – nicht weil die Firma eine Schuld an der Erkrankung von tausenden Hüftpatienten zugegeben hätte. „Offiziell hieß es lediglich, dass wegen der geringeren Nachfrage der Vertrieb eingestellt worden sei“, berichtet Hanspeter Hauke.

Etwa 100 der Geschädigten wollen gegen Zimmer klagen. Vier Fälle sind in Freiburg, dem europäischen Firmensitz, bereits verhandelt worden und zugunsten der Kläger ausgegangen. 25.000 bis 30.000 Euro Schmerzensgeld wurde ihnen jeweils zugesprochen. Zimmer hat im letzten Moment Berufung eingelegt. „Jetzt geht die Sache zum Oberlandesgericht“, sagt Hauke. Das Unternehmen wolle die endgültige Entscheidung wohl so lang wie möglich hinauszögern. Viele der älteren Betroffenen werden das endgültige Urteil gar nicht mehr erleben. „Aber immerhin hat das Gericht in seiner Urteilsbegründung die Fehlerhaftigkeit der Hüftprothese „Durom-Metasul“ festgestellt.“

Hanspeter Hauke ist inzwischen Experte für das Thema „Tests und Zulassung von Medizinprodukten“. Er hofft, dass die Enthüllungen der „Implant Files“ etwas in Bewegung bringen: Für Produkte der höchsten Risikoklasse, etwa Herzschrittmacher, Brustimplantate, Knie- und Hüftgelenke, müssten vor der Zulassung klinische Tests gemacht werden.  Die Zulassung dürfte nicht mehr allein auf Basis von Dokumenten erfolgen. Und es müsste ein unabhängiges zentrales Prothesenregister geben, in dem alle Daten gesammelt werden. „Das muss alles transparent und sicher für die Patienten werden.

Der früher einmal sportliche Hanspeter Hauke kann keine längeren Strecken gehen, und auch kürzere bereiten ihm an manchen Tagen Probleme. „Ich kann auch nicht länger stehen. Ich muss also immer nach Sitzgelegenheiten Ausschau halten“, sagt der 64-Jährige, der auch nicht mehr berufstätig sein kann. Das gefährliche Metall ist bis heute in Haukes Körper nachweisbar. „Dadurch verhärtet sich allmählich das Gewebe im Oberschenkel, er wird mit der Zeit knochenhart.“ Der Zustand ist irreversible, so wie die Schmerzen, die er nicht mehr los wird.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen